
Sind weder Kampf noch Flucht möglich und Totstellen funktioniert nicht, bleibt eine letzte Form der Überlebensmechanismen übrig. Die Unterwerfung, übersetzt bedeutet to fawn aus dem Englischen „unterwerfen“. Dabei gibt es eine sehr bekannte Variante der Fawn-Reaktion, von der du mit Sicherheit schon mal gehört hast. Aber lass uns mal beim üblichen Aufbau bleiben…
Was passiert auf der biologischen Ebene?
Ähnlich wie bei der Freeze-Reaktion werden bei der Fawn-Response über den Dorsalen Vagus die Körperfunktionen herunter gefahren (Herz, Lunge und Verdauung), das Stressniveau für den Körper bleibt aber erhalten. Der Unterschied zum Freeze-Modus liegt darin, dass Bewegungen in akuten Situationen, eventuell verlangsamt aber noch möglich sind. Sowohl das Denken, als auch das Schmerzempfinden wird für den Zeitraum der Reaktionausgeschaltet. Durch den fehlenden Zugriff auf die eigenen Emotionen und Bedürfnisse, richtet sich alles auf die Anforderungen und Bedürfnisse des „Angreifers“ aus. Und je weniger du deine eigenen Bedürfnisse wahr nehmen kannst, desto besser kannst du dich um den anderen kümmern.
Das Ziel der Fawn-Reaktion ist so lieb, nett und zuvorkommend wie möglich zu wirken, dass man für den Gegner keine Bedrohung darstellt und verschont wird. Passender Weise bedeutet fawn im Englischen auch Kitz, weshalb Dami Charf die Fawn-Response als Bambi-Reflex bezeichnet. Ein weiterer Nebeneffekt durch den Eingriff des Dorsalen Vagus ist, dass anschließend wenige bis keine Erinnerungen mehr an die Gefahren-Situation vorhanden sind.
Wie zeigt sich der Unterwerfungs-Modus heute?
In unserer extrem schnelllebigen und fordernden Zeit sind Fawn-Reaktionen im Alltags-Stress z. B. bei Zeitdruck eher hinderlich. Drängen und Forderungen, sowie Unfreundlichkeit oder sogar Strafen erhöhen den Druck noch mehr. Für Menschen die im Unterwerfungs-Modus agieren haben wir umgangssprachlich wenig schmeichelhafte Bezeichnungen: People-Pleaser, Schleimer, Ja-Sager, usw. Das zeigt, wie wenig das Leiden der Betroffenen überhaupt wahrgenommen wird. Durch die Überanpassung und das freundliche Auftreten wird das seelische Leid oft genug nicht einmal von Ärzten oder Therapeuten erkannt. Was Kindern von narzisstischen Eltern / Elternteilen, Missbrauchsopfern oder parentifizierten Kindern oft einen langen Leidensweg einbringt. Eine andere durch die Medien inzwischen bekanntere Form der Fawn Response ist das Stockholm-Syndrom, bei dem die Geiseln Sympathien für ihre Entführer entwickeln. Wie sich das entwickeln kann, erklärt der folgende Abschnitt:
Warum hat sich diese Coping-Strategie bei dir angelegt?
Diese Überlebens-Strategie findet man oft, nicht ausschließlich, bei Menschen, die in jungen Jahren Formen von emotionalem /psychischen / physischem / sexuellen Missbrauch ausgesetzt waren. Die Strategie dahinter ist durch das zuvorkommende und überangepasste Verhalten keinen Unmut zu erzeugen. In der Regel geht dieser Überlebensmechanismus mit einem hohen Maß an Schuld- und Schamgefühlen einher. Da man als Kind ja die Vorgänge nicht versteht, sucht man die Schuld bei sich und gerät so leicht in eine Spirale, in der man versucht immer noch besser zu werden und sich noch besser anzupassen. Letztendlich versuchst du bei Stress dir selbst Sicherheit zu schaffen, indem du dich anpasst, unterwirfst, versuchst dich unter dem Radar zu bewegen und dem anderen jeden Wunsch zu erfüllen.
Da wir hier von einem regelrecht antrainierten Stress-Management über einem langen Zeitraum von Jahren oder sogar Jahrzehnten sprechen kommt der andauernde Stress-Modus einer Gehirn-Wäsche gleich. Mit ein Grund, warum die Betroffenen dieses Verhalten als vollkommen normal ansehen, schließlich kennen sie es nicht anders.
Gängige Erscheinungsformen:
- Unterordnung, sich selbst klein machen
- People Pleasing, von allen gemocht werden wollen
- Eigene Bedürfnisse nicht wahrnehmen oder kommunizieren können – bis Identitätsverlust
- Bedürfnisse anderer immer wichtiger nehmen, als die eigenen
- Grenzen anderer nicht erkennen können (ACHTUNG: nicht böswillig)
- Keine eigenen Grenzen haben oder setzen können
- Ständige Besorgnis und ein hohes Maß an Verantwortungs-Empfinden
- Eingeschränkter Zugang zu den eigenen Emotionen
- Perfektionismus – Konflikt-Prävention
- Permanente bis zwanghafte Selbstoptimierung
- Leistungsdruck und Bereitschaft weit über die eigenen Grenzen zu gehen
- JA-Sager bzw. nicht NEIN sagen können
- Sich ständig entschuldigen
- Angst eine eigene Meinung zu haben / vertreten
- Harmoniesüchtig, bei Streit gibst du auch nach, wenn du eigentlich im Recht bist
- Co-Abhängigkeit
- Selbstkritik bis Selbsthass
- Sich ausgenutzt fühlen / sich immer wieder ausnutzen lassen
- Geringer Selbstwert
- Sich „nicht gut genug“ fühlen
- Selbstverurteilung, Selbstverletzung (Autoaggression)
- Extreme Hilfsbereitschaft bis Helfersyndrom
- Einschmeicheln
- Minderwertigkeitskomplexe
- Sich für die Reaktion anderer verantwortlich fühlen
- Taten anderer entschuldigen / relativieren
- Hypervigilanz und / oder Hochsensibilität
- Sich nicht gesehen / gehört / verstanden fühlen
- Leichtes Oper für Narzissten
„WAS WIR PERSÖNLICHKEIT NENNEN, IST OFT EIN DURCHEINANDER VON ECHTEN EIGENSCHAFTEN UND ANGENOMMENEN BEWÄLTIGUNGSMECHANISMEN, DIE NICHT UNSER WAHRES SELBST WIDERSPIEGELN, SONDERN SEINEN VERLUST.“
DR. GABOR MATE
Was du für dich selbst tun kannst:
Wenn du dich selbst im Fawning-Modus wieder erkannt hast, bist du jetzt wahrscheinlich versucht, dir selbst die Schuld zu geben, dass du das nicht früher erkannt hast und dass du das überhaupt so erlebt hast. Und genau das ist die Falle. Selbst studierte Psychologen haben Schwierigkeiten das Fawn-Verhalten im Tarn-Modus zu erkennen. Woher ist das weiß? Leider habe ich das selbst so vor vielen Jahren erlebt und auf meinem Weg hier her sind mir unzählige Menschen mit diesem Problem begegnet. Genau genommen ist es das, was mich überhaupt dazu bewogen hat, mich auf den Weg zu machen um anderen mit meinem Wissen zu helfen. Was du tatsächlich selbst tun kannst, ist: Mach dich auf den Weg dich selbst kennen zu lernen.
Das Zauberwort für dich: Selbstreflexion! Wenn du in akuten Stress-Situationen bist, dann erbitte dir Zeit („ich würde gerne eine Nacht darüber schlafen…“) oder wenn das nicht möglich ist, versucht dich aus der Situation heraus zu zoomen. Eine einfache Methode dafür nennt sich Will ich das? Stell dir selbst die folgenden 3 Fragen: WILL ich das? Will ICH das? Will ich DAS? Für einen langfristigen Erfolg empfehle ich dir, dich auf diesem Weg begleiten zu lassen. Achte bitte darauf, dass du dich bei dem Psychologen oder Coach / Berater / Mentor wirklich gehört und verstanden fühlst.
Und noch ein kleiner Tipp zum Schluss:
Sei liebevoll mit dir und habe Geduld. Beobachte dich selbst mit aufmerksameren Augen. Wo lächelst du, obwohl dir nicht danach ist? Wo spielst du selbst deine Leistungen herunter „ach das ist doch gar nichts Besonderes“ oder wie bereitest du dich auf Konflikte vor? Wie sprichst du in Gedanken mit dir selbst? Was mir damals sehr geholfen hat, war ein kleines Notizbuch, in dem ich über den Tag Stichpunkte und Situationen erfasst habe, um sie mir abends nochmal Revue passieren zu lassen. Was waren die Auslöser? Wie hätte ich gerne lieber reagiert? Nimm dir diese Zeit für dich.
Nach Jahren der Konditionierung, braucht es Zeit diese etablierten Mechanismen (die dir dein Überleben gesichert haben!) durch gesunde Strukturen und Grenzen, Verhaltensweisen und eine neue Art der wertschätzenden Kommunikation zu ersetzen. Ja, der Gedanke daran kann Angst machen. Aber es hilft dir auch Platz zu schaffen für deine eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Träume. Für dein Leben. Und du musst diesen Weg nicht alleine gehen. Ich begleite dich gerne dabei. HIER kannst du mich anschreiben.
Buchempfehlung:
- Der Körper sagt Nein – Gabor Maté
- Verkörperter Schrecken: Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann – Bessel van der Kolk
- What Happened to You? Conversations on Trauma, Resilience, and Healing – Oprah Winfrey
- It Didn’t Start with You: How Inherited Family Trauma Shapes Who We Are and How to End the Cycle – Mark Wolynn
Falls du hier eingestiegen bist und die Artikel zu den anderen anderen Trauma-Reaktionen noch nicht gelesen hast, kannst du hier klicken: