
Auch wenn wir heutzutage nicht mehr gegen Säbelzahntiger und Mammut kämpfen müssen, frei sind wir von den Mechanismen in unserem Körper deswegen noch lange nicht. Was dazu führt, dass wir in Stresssituationen körperlich reagieren, habe ich in den Artikeln Trauma und Kindheitstrauma und der Einfluss auf das Gehirn (Anmerkung: Der Artikel wird derzeit aktualisiert, 17.08.2023) ausführlich beschrieben. Dieser Beitrag ist der erste der vierteiligen Serie über die 4 Fs der Trauma-Reaktionen: Fight, Flight, Freeze und Fawn. Der besseren Übersicht werde ich die 4 Artikel alle gleich aufbauen. Ich bin gespannt, ob du dich und dein Verhalten darin wiedererkennst. Du kannst gerne einen Kommentar hinterlassen oder mir eine Nachricht dazu schreiben.
JE NACH SITUATION KANN ES ZIELFÜHREND SEIN, NACHZUGEBEN (FAWN) ODER SICH FÜR ETWAS STARK ZU MACHEN (FIGHT), SICH ZURÜCKZUZIEHEN (FLIGHT) ODER ERST EINMAL ABZUWARTEN (FREEZE).
Let’s go…
Was passiert auf der biologischen Ebene?
In Stress- oder Bedrohungssituationen werden im Körper Stresshormone ausgeschüttet (u. a. Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol), die alle nicht zwingend notwendigen Körperfunktionen für den Moment runter und die Leistungs- und Reaktionsfähigkeit hoch fahren. Sprich der Körper wappnet sich für den Kampf oder die Flucht. Stress dient also der Mobilisierung von Energie und in diesem Zusammenhang ist der Auslöser für den Stress absolut zweitrangig, der Hormoncocktail bleibt der gleiche. Wichtig an dieser Stelle ist, dass die Hormone durch die körperliche Aktivität wieder abgebaut werden. Erfolgt dies nicht oder der Stresspegel bleibt über einen langen Zeitraum hoch, können die Hormone, insbesondere das Cortisol, dauerhaft Schaden anrichten und zu chronischen Krankheiten führen. Stress löst also ein Überlebensprogramm aus. Wir ziehen in der heutigen Zeit nicht mehr mit Schwert und Lanze durch die Gegend. Stellt sich also die nächste Frage:
Wie zeigt sich der Kampf-Modus heute?
Menschen, die eher zur Kampfreaktion neigen, wollen mit ihrem Verhalten in erster Linie die Kontrolle zurück gewinnen und die Macht die sie dadurch spüren gibt ihnen das Gefühl von Sicherheit. Bei einer Fight-Reaktion fackelst du nicht lange, sondern legst direkt los. Je nach Ausprägung verteidigst du dich mit verbalen oder sogar körperlichen Attacken. Neigst du zu proaktivem Coping fällt auch Mobbing in den Bereich des Kampf-Verhaltens.
Warum hat sich diese Coping-Strategie bei dir angelegt?
Wenn du als Kind Situationen ausgesetzt warst, in denen du dich hilflos oder machtlos gefühlt hast oder wenn du gelernt hast, dass du Kontrolle hast, wenn du andere dominieren kannst. Das sind leider Verhaltensmuster, die Kinder bei Erwachsenen sehen und schnell adaptieren. Es gibt also immer einen Grund dafür, wenn Menschen anfangen andere zu mobben. Gemäß dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Dies ist übrigens kein Phänomen, das nur auf Jungs oder Männer zutrifft. Auch Mädchen oder Frauen haben damit zu tun. Außerdem gehört auch Selbstverletzung zum Spektrum des Fight-Modus. Allerdings wird hier dann die Aggression nicht nach außen, sondern auf sich selbst gerichtet. Eine weitere Gruppe die hier betroffen sein kann, sind extrem verwöhnte Kinder, die ohne Grenzen aufgezogen wurden. Vernachlässigung hat eben viele Gesichter und kann sich später als Narzissmus oder sehr forderndes oder sogar gewaltbereites Verhalten zeigen.
Gängige Erscheinungsformen:
- Impulsivität
- Dominanz- und Machtgehabe
- Ungeduld und Drängen
- Mobbing
- Verbale Verteidigung, auch Schreien, Beleidigungen, Diskriminierung
- Kontrolle und Kontroll-Zwang
- Sehen den Fehler selten bei sich, suchen den Fehler im Außen, selten bereit an sich zu arbeiten
- Aggression, auch passiv-aggressives Verhalten
- Körperliche und psychische Gewalt
- Selbstverletzung mit nach innen gerichteter Wut und Aggression
- Drohgebärden wie geballte Fäuste oder erhobene Faust oder Zeigefinger
- In starker Ausprägung narzisstisches Verhalten, in extremen Fällen sogar soziopathisches Verhalten (Angst vor dem Verlassen werden ist so groß, dass Nähe und Intimität als Angriff eingestuft werden und von vorne weg unterbunden wird, keine Empathie)
Was du für dich selbst tun kannst:
Die Fight-Reaktion ist sehr körperlich ausgerichtet, daher ist die naheliegende Antwort darauf: Sport, Bewegung, sich auspowern. Es ist aber auch durchaus sinnvoll sich Atem- und Entspannungsübungen anzueignen, oder eine gesunde Routine zu entwickeln, die auf Ruhe und Achtsamkeit ausgerichtet ist (z. B. beruhigende Bäder, Yoga, Meditation). Auch die Arbeit an Empathie und Bindungsfähigkeit macht Sinn.
Und noch ein kleiner Tipp zum Schluss:
Eine Studie hat gezeigt, dass das Hinausschreien von Frust oder anderen starken Emotionen NICHT signifikant dazu beiträgt, das Nervensystem und die Emotionen zu regulieren (dysfunktionales Coping). Ein Detail, was aus dieser Coping-Art eine funktionale Coping-Strategie macht ist Folgendes: Erfolgt im Anschluss eine Interaktion, wird eine Re-Interpretation des Stressors möglich. Ok, das ist sehr technisch, daher an einem kleinen Beispiel aus dem Alltag:
Dein/e Partner/in hat vergessen einen wichtigen Brief zu Post zu bringen. Als du heim kommst, sieht du den Brief auf dem Tisch liegen. Du explodierst und schimpfst und erst nachdem du dich beruhigt hast, erfährst du, dass euer Kind sich morgens in den Finger geschnitten hat und vor lauter Tränen, Pflaster und Hektik auf dem Weg zum Kindergarten der Brief liegen geblieben ist. Du hast also auf deine Explosion hin eine Erläuterung des Hintergrundes erhalten und kannst die Situation jetzt neu bewerten und ihr könnt zusammen nach einer sinnvollen Lösung für das Problem suchen.
Du bist neugierig auf die anderen Trauma-Reaktionen?
Hier geht es weiter mit FLIGHT!
4 Gedanken zu „FIGHT“