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FREEZE

Freeze Mode

Erinnerst du dich an die beiden witzigen Opossums Crash und Eddie aus Ice Age? Die beiden stellen sich wie echte Opossums bei Gefahr einfach tot. Und klar, in einem Zeichentrickfilm wird dieses Verhalten mit den skurrilsten Körperhaltungen parodiert. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Totstell-Reflex (to freeze aus dem Englischen für „einfrieren“ oder „erstarren“) im Notfall das Überleben sichern soll. Dieses Verhalten gibt es aber nicht nur im Tierreich, sondern auch bei uns Menschen. Lass uns das mal genauer anschauen…    

Was passiert auf der biologischen Ebene?

Hier passiert tatsächlich etwas, was sich von den Abläufen bei Fight und Flight unterscheidet. Funktionieren weder Kampf noch Flucht (was beides über das sympathische Nervensystem geregelt wird), schaltet sich der älteste Teil unseres Nervensystems der Dorsale Vagus dazwischen. Er steht in Verbindung zu Herz, Lunge und Verdauung und schaltet das gesamte System auf Minimal-Betrieb. So erleben wir die Abschaltreaktion meist bei akutem Stress. Das Erstarren ist eine Form der Immobilisierung und fühlt sich für die Betroffenen an, als würden sie den Bezug zum eigenen Körper verlieren. Auch Taubheit / Benommenheit und ein abgeschnitten sein von Gefühlen und Empfindungen gehen damit einher. Das unangenehme Gefühl von Stress bleibt dabei übrigens erhalten, sprich sich bewegen wollen, aber nicht können. In der Folge bringt es eine Unfähigkeit zur Nähe mit sich und man zieht sich buchstäblich in die eigene innere Welt zurück.  

Wie zeigt sich der Erstarrungs-Modus heute?  

Da unser Nervensystem noch kein evolutionäres Update für das 21. Jahrhundert erhalten hat, greift der Dorsale Vagus immer noch ein, wenn die Stress-Situation ausweglos erscheint. In der Folge kann das Nervensystem unter Stress immer wieder in dieses Überlebensmuster verfallen. Derzeit wird das Thema Prokrastination in der Social-Media-Bubble groß diskutiert. Was damit gemeint ist? Per Definition das Aufschieben von anstehenden Tätigkeiten. Betroffene schildern, dass ihnen wohl bewusst ist, was sie alles tun müssten, sie bekommen sich aber nicht dazu aufgerafft. Und an dieser Stelle sein angemerkt, dass das nichts mit Faulheit zu tun hat. Ein kleiner aber maßgeblicher Unterschied: Wer faul ist, hat kein Problem damit die Arbeit liegen zu sehen und kann das Nichtstun auch genießen. Wer prokrastiniert ist in dieser Haltung quasi gefangen, die Gedanken drehen sich permanent um die zu erledigenden Aufgaben und die Betroffenen fühlen sich alles andere als wohl in ihrer Situation.

Es gibt aber auch die Variante sich tot zu stellen um Gefühle nicht fühlen zu müssen, oder um Bedürfnisse zu unterdrücken. Da durch die Starre-Reaktion im Körper auch Opioide  freigesetzt werden (in Erwartung auf die Schmerzen vor dem bevorstehenden Tod) sind die zur Freeze Reaktion neigenden Menschen an deren Wirkung gewöhnt. Wenn das nicht mehr ausreicht, greifen die Betroffenen gerne zu Betäubungsmitteln wie Alkohol, Cannabis oder Opiaten um den Schmerz bewältigen zu können.   

Warum hat sich diese Coping-Strategie bei dir angelegt? 

Die Freeze-Reaktion findet man oft (nicht ausschließlich) bei Menschen, die ein Schock-Trauma erlebt haben. Dazu gehören Unfälle oder Gewalt-Erfahrungen wie ein Überfall oder Missbrauch. Aber auch eine Operation, die Geburt eines Kindes oder das Erleben eines Krieges oder einer Naturkatastrophe können Auslöser sein. Aber auch bei Menschen die ein Entwicklungstrauma erlebt haben können davon betroffen sein. Man könnte sagen: Immer dann, wenn du hilflos einer Situation ausgesetzt warst, in der weder Kampf noch Flucht eine Option waren. Wenn du mehr zu den verschiedenen Arten von Traumata wissen möchtest, kannst du HIER weiter lesen.  

Gängige Erscheinungsformen:

  • Resignation
  • Prokrastination
  • Gefühl von Kälte
  • Tagträume – die Flucht nach Innen, Dissoziation
  • In stressigen Situationen mental weg driften / neben sich stehen
  • sich geistig von der Welt abspalten, Derealisation
  • sich von seinen Empfindungen abspalten, Depersonalisation
  • Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme
  • Selbstisolation
  • Stummheit, keine Worte finden
  • Taubheit, Benommenheit
  • Unfähigkeit sich zu bewegen, Stupor
  • sich blockiert fühlen
  • Keine klaren Gedanken fassen können
  • Übermäßiges Schlafen, Tagträumen, sich vom TV berieseln lassen, Computer spielen
  • Körpersprachlich: ins Leere starren oder zur Salzsäule erstarren
  • Unfähig Entscheidungen treffen zu können
  • Unfähigkeit zur Nähe
  • Im Extremfall Shutdown, Verlust der Muskelspannung***

Was du für dich selbst tun kannst:

Wenn du in einem akuten Freeze-Modus bist, haben deine Mitmenschen das Gefühl dich da raus holen zu müssen. In der Regel wird dies als übergriffig und aggressiv empfunden. Immerhin befindest du dich ja ohnehin schon in einer für dich super unangenehmen Situation und hast das Gefühl von Kontrollverlust. Was gut gemeint ist, führt also im worst case zur Verschlimmerung deiner Situation. Wenn du also etwas für dich selbst tun willst in diesen akuten Situationen, dann konzentriere dich auf das was noch funktioniert.

  • Funktioniert deine Atmung?
  • Funktionieren deine Sinne?
  • Was siehst du?
  • Was hörst du?
  • Was riechst und schmeckst du?
  • Und was spürst du?
  • Spürst du wie sich dein Brustkorb beim Atmen hebt und senkt?
  • Kannst du deine Augen bewegen?

Diese Fragen sollten dir helfen deinen Fokus gezielt auf das zu lenken, was noch funktioniert. Und dann im Weiteren kannst du anfangen kleine Bewegungen zu machen und sei es nur den Kopf zu drehen. Auch wenn sich das jetzt vielleicht nicht sonderlich spektakulär liest. In diesen Situationen hilft es dir, dein Denken und dein Bewusstsein wieder in die richtige Richtung zu lenken. Kleine regelmäßige Übungen und Atemtechniken können dich dabei unterstützen. Was sich bei Freeze-Betroffenen auch hervorragend eignet sind Haustiere. Durch die Verantwortung, kleine Aufgaben und die Notwendigkeit sich täglich zu kümmern z. B. in  Form von Bewegung an der frischen Luft beim Gassi-Gang lösen sie sich aus der Starre und der Isolation und bekommen wieder einen Bezug zum Leben.

Und noch ein kleiner Tipp zum Schluss:

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass mir unter anderem TRE (Körperarbeit) und EMDR vor vielen Jahren sehr gut dabei geholfen haben, meine traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten. Das ist auch der Grund, warum ich bis heute gerne mit diesen effektiven Techniken arbeite. Falls du mehr dazu wissen möchtest, schreib mich gerne an. Hier geht es zum Kontaktformular.

***ACHTUNG: Dieser Artikel ersetzt keine Therapie, individuelle Beratung oder medizinischen Rat. Er dient lediglich als Information, nicht zur Selbstdiagnose. Es ist mir bewusst, dass meine Darstellung der Zusammenhänge in diesem Artikel aus fachlicher Sicht nur Teile des Spektrums aufgreift und Bereiche wie z. B. Asperger und Autismus nicht mit abdeckt.

Hier geht es zur letzten Trauma-Reaktion: FAWN!

2 Gedanken zu „FREEZE“

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