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Trauma

Trauma hat viele Gesichter

Trauma und Coping sind derzeit in der Therapie – und Persönlichkeitsentwicklungs-Bubble (endlich!) ein großes Thema. Wer sich damit auseinander setzt, stellt schnell fest, dass man persönlich mehr Berührungspunkte hat, als einem bisher bewusst war. Um die Zusammenhänge etwas klarer zu machen, lass uns das mal genauer beleuchten.

Noch ein kleiner Disclaimer vorab: Dieser Artikel ersetzt keine Therapie, individuelle Beratung oder medizinischen Rat. Er dient lediglich als Information, nicht zur Selbstdiagnose.

ACHTUNG: Es ist mir bewusst, dass meine Darstellung der biologischen Zusammenhänge in diesem Artikel aus fachlicher Sicht nur eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise ist. Die Verknüpfungen von Gehirn, Nervensystem, Verhaltensmuster und die Auswirkungen von (frühkindlichem) Trauma auf das gesamte System sind sehr komplex, aber auch für das Verständnis sehr wichtig. Daher habe ich HIER einen separaten Artikel dazu verfasst. (Anmerkung: Der Artikel wird derzeit überarbeitet, 17.08.2023)

Jetzt aber los…

Das Trauma und der Autopilot

Unser Hirnstamm (oder auch Reptiliengehirn) steuert unsere Wahrnehmung. Als ältester Teil unseres Gehirns ist er für unser Überleben zuständig und steuert über den Vagus Nerv Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag, Verdauung, aber auch das Hormonsystem, Instinkte (z. B. Fortpflanzung) und Reflexe (z. B. Husten, Niesen). Dieser Bereich im Gehirn ist quasi der Speicherplatz für alles was unser Überleben sichert und funktioniert, ohne dass wir darüber nachdenken und das wir willentlich nicht kontrollieren können.

Der nächste wichtige Hirn-Bereich ist das limbische System. Es ist zuständig für die Steuerung der Funktionen von Antrieb, Lernen, Gedächtnis, Gefühle und Emotionen. Aber auch für die vegetative Regulation der Nahrungsaufnahme, Verdauung und Fortpflanzung.

Und dann wäre da noch das Großhirn. Es befähigt uns zum Denken, Fühlen und Handeln, sowie zur kognitiven Erfassung unserer Umwelt. Hier befinden sich also die 10% unseres Gehirns, die wir bewusst benutzen.

Nimmst du also über deine Sinne in deiner Umgebung einen Reiz wahr, durchläuft diese Information über den Hirnstamm ein Filtersystem und nur wenn diese als nicht gefährlich eingestuft wird, gelangt sie bis ins Großhirn, wo wir dann bewusst darüber nachdenken können. Wird im Filtersystem festgestellt, dass die Information eine Reaktion notwendig macht, wird diese umgehend eingeleitet (Kampf, Flucht, Erstarrung, Unterwerfung). Alles in allem ein hoch-effizientes Schutzsystem, das es dir ermöglicht schnell und der Situation entsprechend zu reagieren.

Problematisch wird es erst dann, wenn die angelegten Filter zum Beispiel durch dauerhaften Stress und / oder Trauma (zu den verschiedenen Arten von Traumata findest du HIER einen separaten Artikel) fehlerhaft und beschädigt sind und zu absolut unvorteilhaften oder ungesunden Reaktionen führen. Dein System läuft dann bildlich gesprochen auf Autopilot. Du kannst nicht einmal begründen, warum du etwas machst, bzw. tust es. Obwohl du dir im bewussten Teil darüber im Klaren bist, dass du dir damit selbst schadest. Woher kommt das?

Normalzustand und Notbetrieb

Mutter Natur hat über die letzten Jahrmillionen den menschlichen Körper mit einem ausgeklügelten Informationssystem versehen. Unser Gehirn lenkt uns über unsere Hormone und regelt darüber viele wichtigen Funktionen z.B. unseren Schlaf-Wach-Rhythmus, Hunger- und Sättigungsgefühl, die körperliche Entwicklung in der Pubertät, die Wechseljahre, aber auch unsere Stressreaktion. Du hast aus dem Bio-Unterricht vielleicht noch im Kopf, dass die Hormone Adrenalin und Noradrenalin bei Stress freigesetzt werden. Sie sorgen dafür, dass du unter ihrem Einfluss Höchstleistungen vollbringen kannst und sich dein Körper mit all seinen Funktionen auf „Kampf“ oder „Flucht“ einstellt. Diese Reaktion brachte also ursprünglich auch immer eine körperliche Aktivität mit sich, die dafür gesorgt hat, dass die Stresshormone schnell wieder abgebaut werden.

Es gibt in diesem Zusammenhang aber ein noch viel interessanteres Hormon. Nach der Stress-Situation organisiert sich der Körper selbst Verstärkung. Etwa 20 bis 30 Minuten später, sind Adrenalin und Noradrenalin längst abgebaut und der Körper beginnt jetzt Cortisol auszuschütten um leistungsfähiger zu bleiben. Cortisol wirkt quasi als Aufputschmittel, das aber deutlich länger im Körper bleibt, als die anderen Stresshormone.

Im Normalfall ist dein Körper also in der Lage sich selbst zu regulieren. Bist du jetzt aber langen Phasen von Überreizung oder Stress ausgesetzt, wird dein Nervensystem mit Cortisol buchstäblich überschwemmt. Dein Körper kann das Hormon gar nicht schnell genug abbauen um wieder in den Normalbereich zurück zu finden. Erlebst du ein Trauma (ACHTUNG: es gibt verschiedene Arten von Trauma, nähere Informationen dazu findest du HIER) ist dein Nervensystem einem Katastrophenfall ausgesetzt und schaltet in den Notbetrieb. Eine traumatische Situation wird als Bedrohung für Leib und Leben wahrgenommen und dein Gehirn stoppt augenblicklich alle unnötigen Handlungen und blendet Wahrnehmungen, die nicht im Mittelpunkt stehen, aus. Diese Hintergrund-Informationen werden übrigens trotzdem gespeichert, das ist der Grund, warum unter Hypnose Details abgerufen werden können. Alles in dir ist jetzt auf Anspannung und dein Körper ist auf eine Reaktion ausgerichtet.

Welche Auswirkungen Traumata, insbesondere frühkindliche auf das Gehirn und deine Entwicklung haben, kannst du HIER nachlesen. (Anmerkung: Der Artikel wird derzeit aktualisiert, 17.08.2023)

Trauma-Reaktionen

Die 4 bekannten Trauma-Reaktionen nennt man auch die „4 Fs“ (nach dem Modell von Pete Walker):

Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die Traumata erlebt haben, sich besser davon erholen können, wenn sie die Zusammenhänge und ihre Körperreaktionen verstehen können. Wenn sie erkennen, dass ihr Körper versucht hat, sie auf diese Weise zu schützen, können sie sich wieder mit ihrem Körper „anfreunden“.

Deshalb findest du hier zu jeder Trauma-Reaktion einen ausführlichen Artikel, der jeweils eine genaue Beschreibung liefert, wie sich diese Reaktion zeigt und woran du sie bei dir (und vielleicht auch anderen) erkennen kannst. Außerdem gehe ich darauf ein, welche Coping-Mechanismen damit im Zusammenhang stehen.

Was es mit dem Coping auf sich hat, kannst du HIER nachlesen.

Eine persönliche Anmerkung zum Schluss:

Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit diesem Thema beschäftigt und finde es zum einen positiv, dass das Angebot von trauma-sensiblen Beratungs- und Therapie-Angeboten mehr wird. Zum anderen bin ich immer wieder entsetzt, wie inflationär und unbedacht mit den Begrifflichkeiten Trauma und Coping umgegangen wird. In Anbetracht dessen, dass ein Trauma in den verschiedensten Formen und vor allem JEDEM passieren kann, bin ich froh, dass das Bewusstsein und die Achtsamkeit dafür größer wird. Und ich hoffe, dass ich mit meiner Arbeit einen Teil dazu beitragen kann.

3 Gedanken zu „Trauma“

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